Ich (w, 42) bin seit vielen Jahren glücklich verheiratet. Wir haben es gut zusammen, auch unser Sexleben ist zwar nicht mehr übermässig aufregend, aber immer noch intakt. Was mich etwas stört ist, dass die Initiative für Sex immer von mir ausgehen muss. Er macht dann zwar bereitwillig mit, aber ich weiss nicht recht, ob er wirklich ein grosses Bedürfnis danach hat. Und wenn ich nichts tun würde, hätten wir wohl gar keinen Sex mehr. Soll ich einfach mal abwarten und hoffen, dass er von sich aus etwas unternimmt?
Es enttäuscht Sie sehr, dass Ihr Partner Ihnen nicht zeigt, ob er Sex haben will. Ich vermute, dass Sie das Gefühl vermissen von ihm begehrt zu werden. Nun kann es allerdings sein, dass er ein sogenanntes responsives Begehren hat: Hierbei entwickelt sich Lust auf Sex erst während der Begegnung der beiden Partner - im Gegensatz zum spontanen Begehren, bei dem die sexuelle Lust schon vorher da sein kann.
Menschen mit einem responsiven Begehren initiieren seltener den Sex. Sie brauchen bestimmte Kontextbedingungen, damit sie Lust darauf bekommen. Diese Kontextbedingungen sind zwar von Mensch zu Mensch verschieden, aber es gibt weit verbreitete «Lustförderer» wie eine angenehme Atmosphäre und ein gutes Gespräch, in dem man aufeinander eingeht. Das kann bedeuten, dass jeder einmal erzählt, was gerade belastend ist, was ihn beschäftigt und es so zur Seite legen kann. Ablöschend wirken für viele vor allem Stress und Druck – z. B. durch die Erwartungen des Gegenübers.
Zu Beginn einer Beziehung haben aber auch Menschen mit responsivem Begehren spontan Lust auf Sex und initiieren diesen dann auch. Denn wenn man verliebt ist oder eine Situation hochromantisch oder sehr erotisch ist, sind die Kontextbedingungen so günstig, dass die Lust allein schon durch den Gedanken an den anderen entfacht wird.
In einer längeren Partnerschaft macht es dagegen meistens keinen Sinn sich auf Spontaneität zu verlassen – denn darauf kann man oftmals lange warten. Man kann aber die Entscheidung treffen, Sex haben zu wollen und z. B. mit dem Gedanken, dass einem Sex guttut, zärtlich zueinander sein. So gibt man dem Begehren Gelegenheit «aufzuwachen» und sich zu entwickeln. Wichtig ist allerdings dabei, dass sich beide Partner frei fühlen zu sagen, wenn sie nicht weitergehen möchten. Zärtlich zueinander zu sein, aber ohne zu erwarten, dass es zum Sex kommen wird, macht einen wichtigen Teil der Selbstbestimmtheit aus, die fast jeder braucht, um sich auf Berührungen einlassen zu können.
Sprechen Sie mit Ihrem Partner doch über das Thema. Zugegeben – das fällt den meisten Menschen nicht leicht, da es sehr persönlich ist. Man zeigt sehr Zentrales von sich und macht sich dadurch verletzlich. Die Befürchtung abgelehnt zu werden ist in diesem Bereich gravierend. Noch wichtiger als sonst schon, ist es daher, keine Vorwürfe zu machen und den anderen nicht zu bewerten. Das Verhalten sollte neutral beschrieben werden: «Ich habe den Eindruck, dass ich es meistens bin, die bei uns den Sex anregt.» Und sagen Sie dann, was das bei Ihnen auslöst und was Sie sich wünschen würden: «Das macht mich traurig, ich vermisse das Gefühl, begehrt zu werden und würde mir wünschen, dass die Initiative öfter von dir ausgeht.» Und fragen Sie nach: «Wie geht es dir damit? Was brauchst du, um Lust auf Sex zu bekommen?» (veröffentlicht in der Luzerner Zeitung).