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Verletzungen gemeinsam überwinden

Vor ungefähr 10 Monaten ist etwas passiert, was meine Frau mir anscheinend nicht verzeihen kann. Nach der Geburt unseres ersten Kindes wollten wir die ersten Tage in Ruhe zuhause verbringen. Ich habe es aber nicht über’ s Herz gebracht, meine Eltern zu bitten, nur kurz zu bleiben, so dass sie einen ganzen Tag bei uns verbracht haben. Meine Frau meint, ich sei ihr in den Rücken gefallen und es würde ihr schwer fallen mir jetzt noch zu vertrauen. Ist das nicht etwas übertrieben von ihr?

 

Sie befanden sich sicherlich in einem Dilemma, standen zwischen zwei Stühlen: Sie wollten Ihren Eltern nicht vor den Kopf stossen und haben gleichzeitig die Erwartungen Ihrer Frau wahrgenommen. Ich vermute, Sie haben mittlerweile die Erfahrung gemacht, dass es nicht hilfreich ist Ihrer Frau zu erklären, warum Sie Ihr Handeln als angemessen empfunden haben.

 

Die Reaktion Ihrer Frau erscheint Ihnen übertrieben, vielleicht empfinden Sie sie auch als nachtragend. Damit Ihre Frau das Geschehene hinter sich lassen kann, wäre es zunächst wichtig genau zu verstehen, was ihr so weh getan und was ihrem Vertrauen geschadet hat.

 

Hat es Ihre Frau verletzt, dass Sie die getroffene Abmachung nicht eingehalten haben, so dass sie sich nun auf Ihr Wort nicht mehr verlassen mag? Oder ging es ihr darum, dass sie durch die gemeinsame Zeit spüren wollte, dass Sie jetzt eine kleine Familie sind? Da sie Ihnen mitgeteilt hat, sie seien ihr in den Rücken gefallen, scheint es ihr um ihren Zusammenhalt zu gehen.

 

Für eine Partnerschaft ist es günstig, wenn das Paar Zusammenhalt und gegenseitige Loyalität zeigt. Es verletzt den Partner/die Partnerin, wenn ohne Absprache das Interesse oder Wohl anderer über das eigene gestellt wird. Ihre Frau könnte gedacht haben, dass Sie die Bedürfnisse Ihrer Eltern über die Ihrer Frau stellen. Sie hat sich vermutlich alleingelassen gefühlt. Vielleicht sind bei ihr sogar Zweifel entstanden, ob Sie, falls es einmal notwendig sein sollte, zu ihr stehen würden. Solche Gedanken und Gefühle werden nicht nur durch die aktuelle Situation ausgelöst, sondern auch durch frühere Erfahrungen, die nicht unbedingt etwas mit dem Partner zu tun haben müssen. Lernerfahrungen, vor allem die, die wir in unserer Kindheit gemacht haben, prägen die Art, wie wir die Welt wahrnehmen, und was wir fühlen. Alte Ängste werden schnell wieder ausgelöst.

 

Konzentrieren Sie sich darauf, die Gefühle Ihrer Frau nachzuempfinden und zu verstehen, was Sie in solch’ verzwickten Situationen, in denen Sie die Wünsche anderer Personen berücksichtigen möchten, von
Ihnen braucht. Ich könnte mir vorstellen, dass es für Ihre Frau wichtig wäre, in Ihre Überlegungen einbezogen zu werden. Eine gemeinsame Entscheidung, ob z.B. ein Kompromiss denkbar ist, wäre vermutlich ideal.

 

 

Nur wenn Sie den Schmerz Ihrer Frau vollumfänglich anerkennen und ihr zeigen, dass es Ihnen wirklich leidtut, dass Sie ihr weh getan haben – natürlich nur, wenn dies auch so ist! – kann die Verletzung heilen. Übernehmen Sie die Verantwortung für Ihr Handeln! Dann ist es an Ihrer Frau sich zu entscheiden, ob Sie Ihnen verzeihen will. Denn diese Entscheidung ist ein notweniger erster Schritt, damit Sie beide ohne die Belastung durch das Geschehene zusammen weitergehen können (veröffentlicht in der Luzerner Zeitung).